Nachhaltigkeit: Global Change verstehen, Veränderung bewirken
Wer Sustainability Manager werden will, braucht ein Grundverständnis für naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Nur so werden die Konsequenzen unternehmerischen Handelns deutlich. Dafür ist jedoch kein Physikstudium notwendig. Es genügt, die aktuellen Krisen unserer Zeit differenziert zu betrachten und Zielkonflikte zwischen Wirtschaft und Nachhaltigkeit unter die Lupe zu nehmen.
Prof. Dr. Michael Leuchner lehrt Physische Geographie und Klimatologie an der RWTH Aachen. In seinem Modul „Earth System Science“ im M.Sc. Sustainability Management der RWTH Business School legt er einen wichtigen naturwissenschaftlichen Grundstein für die Management Studierenden.
Das „Big Picture“ sehen
Viele Nachhaltigkeitsprobleme werden leichtfertig unter dem Begriff „Klimakrise“ zusammengefasst. In meinem Modul „Earth System Science” im M.Sc. Sustainability Management betrachten wir deshalb die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge zwischen Atmosphäre, Biosphäre und Geosphäre, um die großen Krisen unserer Zeit, den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität, richtig zu verstehen. Zusammen mit den Studierenden erarbeite ich mithilfe interaktiver Lernmethoden ein „Big Picture“, das sie idealerweise dazu befähigt, Unternehmen nach ihrem Abschluss zu mehr Nachhaltigkeit zu verhelfen.
Menschlicher Einfluss und ESG
Der Mensch spielt in Fragen rund um den Klimawandel die entscheidende Rolle. Insbesondere durch Emissionen greifen wir in das Klimasystem ein und treiben so den Klimawandel voran. Die Folgen: Erderwärmung und Wetterextreme. Aber auch die Urbanisierung und Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftliche Flächen reduziert drastisch die Vielfalt von Tieren und Pflanzen.
Vor allem in einer Management Position in einem Industrieunternehmen treffen Menschen immer wieder Entscheidungen, die weitreichende Konsequenzen für Natur und Klima mit sich bringen können. Vom Bau einer neuen Produktionsstätte auf einem Waldgebiet über die Automatisierung von Arbeit bis hin zu wirtschaftlichen Wachstumszielen; der Wirkungskreis von Managerinnen und Managern ist groß.
ESG (Environmental, Social and Governance) ist ein Standard für verantwortungsvolle Unternehmensführung in Bezug auf soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Umweltschutz geworden. Nur, wer ein Grundverständnis für die physikalischen Zusammenhänge hat, kann in einer Führungsposition positive Veränderung nach ESG-Kriterien bewirken. Deshalb freue ich mich, mit dem Modul „Earth System Science“ als Basismodul im Sustainability Management Studium dieses Grundverständnis vermitteln zu können.
Naturwissenschaftliche Zusammenhänge verstehen
Worum wird es in dem Modul konkret gehen? Studierende lernen, was aus naturwissenschaftlicher Sicht zum globalen Wandel und Klimawandel führt. Sie erhalten Einblick in die Funktionen und Leistungen von Ökosystemen und lernen, die komplexen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Sphären des Erdsystems zu verstehen. Das ist notwendig, damit sie im späteren Berufsleben unternehmerische Maßnahmen differenziert betrachten zu können. Denn nicht alles, was heute als nachhaltig deklariert wird, ist es auch.
Schauen wir uns ein paar Beispiele an:
1. Umweltschutz versus Klimaschutz
„Echte“ Nachhaltigkeit bedeutet langfristig positive Veränderung für Klima und Umwelt zu erzielen. Bei der Umsetzung gibt es Konflikte, denn Umweltschutz ist immer Klimaschutz, aber Klimaschutz ist nicht immer Umweltschutz. Der Bau von Windrädern zum Klimaschutz beispielsweise benötigt viele Rohstoffe und Energie. Für die Fläche, auf der sie stehen, werden unter Umständen Bäume gefällt oder Böden versiegelt. Auch Elektro-Mobilität ist nicht langfristig nachhaltig, sie ist lediglich besser als der Antrieb mit Benzin-Verbrennern, benötigt jedoch auch viele Rohstoffe und Energie und produziert eine große Menge Elektronik-Abfall, der verwertet werden muss.
2. Klimaanpassung versus Klimaschutz
Aufgrund des voranschreitenden Klimawandels sind Anpassungen an unser immer wärmer und extremer werdendes Klima notwendig geworden. Auch hier gibt es Konflikte. Der Bau eines Staudamms beispielsweise schützt die Menschen vor Hochwasser, für den Bau wird aber viel Energie verbraucht und CO2 emittiert und es werden natürliche Ökosysteme und darüber hinaus auch menschliche Siedlungen zerstört. Im besten Fall ist eine Klimaanpassungsmaßnahme also gleichzeitig eine Klima- und Umweltschutzmaßnahme, wie etwa die Renaturierung von Wäldern oder Mooren, die gleichsam zu Hochwasserschutz und CO2-Speicherung führt. Es ist also wichtig zu verstehen, dass nachhaltige Initiativen vielfältige Ziele bedienen müssen.
Technologie ist nicht immer die Lösung, wir müssen umdenken
Nachhaltige Lösungen werden oft in der Technologie gesucht. Und ja, moderne Technologie kann uns dabei helfen, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sie ist jedoch nicht die alleinige Lösung, sondern lediglich eine Stellschraube in einem komplexen System. Viel wichtiger ist es aus meiner Sicht, Gewohnheiten und veraltete Systeme in Frage zu stellen. Ganzheitliches, interdisziplinäres Denken und Handeln in Unternehmen und entlang deren (globaler) Wertschöpfungsketten ist gefragt. Wer anfängt, Wirtschaftsziele, soziale Ziele und ökologische Ziele in Einklang zu bringen und nach langfristig nachhaltigen Lösungen zu suchen, fängt an, Zukunft zu gestalten.
Nachhaltigkeit und Management vereinen
Das Modul „Earth System Science” ist eines von sechs Grundlagen-Modulen im neuen Master of Science in Sustainability Management. Es besteht aus interaktiver Lehre mit vielen, praktischen Übungen. In Exkursionen tauchen die Studierenden außerdem in die praktische Arbeit etwa von Klimatologen ein, nehmen echte Messungen in der Natur vor und erarbeiten Lösungen für mehr Nachhaltigkeit im Team. Der Studiengang startet erstmalig im Oktober 2024 an der RWTH Business School. Voraussetzung für das englischsprachige Studium ist ein Jahr Berufserfahrung und eine Leidenschaft für Nachhaltigkeit.
Prof. Dr. Michael Leuchner
Lehr- und Forschungsgebiet Physische Geographie und Klimatologie RWTH Aachen